Geschichte

Bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts lassen sich Juden im Lehenbuch der hier in Reckendorf ansässigen Adelfamilie derer von Wiesenthau nachweisen. Eine direkte Besiedlungspolitik kann man allerdings erst nach dem 30-jährigen Krieg erkennen. Die Bevölkerung war durch die Kriegswirren vertrieben oder derart dezimiert, dass der Territorialherr das verlassene und verwaiste Land jüdischen Familien anbot, die sich dann auch hier niederließen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Zahl der Familien mit 87 festgelegt. Im Vergleich zu den christlichen Mitbürgern war dies mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung, wenn man davon ausgeht, dass hier in Reckendorf insgesamt nur 200 Haushalte bestehen durften.

Von einem jüdischen Versammlungsort erfahren wir erstmals aus einer Überlassungsurkunde vom Oktober 1705: die damalige Schlossherrin und Witwe Anna Katharina Lechner von Lechfeld überliess ihren jüdischen Hintersassen das „an den Schlosses Hopfengarten stossende Hauss zur Judenschul" und erlaubt nach dem festgeschriebenen Erbrecht, dass diese dort „ihre Schul- und Jüdisch-ceremonies (jedoch dass dabey weder Christ der Herr noch das Christenthumb gelästert oder geschmähet werde) darinnen zu halten oder sonsten zu besizen, zu nuzen und zu geniesen."

Der Bestand des heute noch stehenden Synagogengebäudes wurde von einer Gruppe von Bauforscher-Studenten am Institut für Denkmalpflege der Otto-Friedrich-Universität im Jahre 2001 verformungsgerecht aufgemessen. Einer von ihnen, der Diplom-Ingenieur Christof Haas war von der geschichtsträchtigen Bausubstanz derart fasziniert, dass er im Zuge des Graduiertenkollegs am Bamberger Institut seine Doktorarbeit von dem Reckendorfer Bauwerk aus auf die „Landsynagogen des 18. und 19. Jahrhunderts in Franken" ausdehnte.

Das hohe von weitem schon sichtbare Sandsteingebäude mit dem ortstypischen Krüppelwalmdach wurde zwischen 1727 und 1732 errichtet. Bereits 1738 soll nach Auskunft des Jüdischen Lehrers Seligmann Pfeifer (s.o. S. 16) das Dachwerk und Gewölbe eingestürzt sein. Diese Nachricht wird durch die Altersbestimmung der Dachbalken (dendrochronologische Untersuchung) bekräftigt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfolgte die Einrichtung einer Vorsängerwohnung und ein kleiner Anbau im Eingangsbereich mit Lavabo. Hundert Jahre später, im Jahre 1851, entfernte man die barocke Einrichtung und gestaltete den Innenraum nach dem damaligen Zeitgeschmack um. Indem man das Bodenniveau um 70 cm anhob, konnten die Reste der ursprünglichen alten Einrichtung, wie z.B. der steinernen Bima, in dem Fussboden „bestattet" werden. Dieser jüdische Brauch, alte Kultgegenstände nicht wegzuwerfen (Genisa), sondern im Synagogengebäude an einem nicht störenden Ort aufzubewahren, erweist sich als unermesslicher Glücksfall für die Reckendorfer Geschichte: auf dem Dachboden haben sich in den Gewölbezwickeln all diese Gegenstände erhalten. Dazu kamen noch weitere Objekte der Kriegs- und Nachkriegszeit - Schriftverkehr, Material und Alltagsgegenstände der späteren Mieter wie der Schraubenfabrik Bachmann & Ullmann (mit Hauptsitz in Bamberg), Herdfabrik Esdonk und Schuhfabrik Kilian.

Dass die Synagoge in der Reichsprogromnacht am 9. November 1938 bzw. am Morgen des 10. Novembers gegen 8 Uhr kein Opfer der Flammen wurde, ist dem unerschrockenen Mut einiger Reckendorfer Bürger zu verdanken. Anwohner der engen Judengasse stellten sich der Aktion der Nazis in den Weg, denn sie fürchteten, dass sich ein möglicher Brand schnell auf die umliegende Dachlandschaft ausbreiten würde. Der Trupp mit dem Zerstörungsbefehl begnügte sich damit, die Innenausstattung des Betsaales herauszureißen und auf dem alten Sportplatz am Weidig zu verbrennen. Da sich die jüdische Kultusgemeinde durch die starke Emigrationsbewegung bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf ganz wenige Familien verringert hatte, waren die wertvollsten Kultgegenstände bereits vor 1927 nach Bamberg ausgelagert worden. - Allerdings scheinen sie bei der dortigen Niederbrennung der Synagoge mit vernichtet worden zu sein.

Der letzte Kultusvorsteher, Isidor Schmidt, verkaufte die Synagoge mit Vorplatz am 21. Juli 1939 an die Gemeinde Reckendorf bevor er selbst 1941 nach Amerika auswanderte. In den Jahren darauf wurde das Gebäude als Kriegsgefangenenlager und Lagerraum genutzt. Nach dem Krieg erhielt die Israelitische Kultusgemeinde von Bayern die Synagoge zurück, die es jedoch 1952 wieder veräußerte. Nach dem Brand ihrer Fertigungsräume am 2.2. 1953 fand vorübergehend die Schuhfabrik Kilian in dem mittlerweile durch eine Zwischendecke unterteilten Saal eine neue Heimat. Bevor die politische Gemeinde Reckendorf im Februar 2001 das Anwesen erwerben konnte, diente es lange Jahre der Reckendorfer Schlossbrauerei als Lager.

Der damalige Eigentümer setzte sich Anfang der 1990er Jahre mit dem Jüdischen Museum Fürth in Verbindung, welches 65 Kartons von dem im Dachboden angesammelten Kultus-Material abtransportierte, diese warten noch auf eine Auswertung, wenn die nötigen Gelder vorhanden sein sollten. Einige der schönsten Ansichtsstücke, darunter ein sehr altes Pergament aus dem 15. Jahrhundert oder „Thora"-Beschneidungs-Wimpel aus dem 17. Jahrhundert, kann man im Jüdischen Museum Fürth und Fränkischen-Schweiz-Museum Tüchersfeld bereits besichtigen.

Text und Zusammenstellung: Adelheid Waschka, M.A., Archivarin & Kunsthistorikerin, Hallstadt

 
Auszug aus dem App-Store "Jüdische Orte in Bayern" :
Jüdisches in Bayern - Reckendorf

Als Folge der über Jahrhunderte bestandenen Epoche des Landjudentums gibt es heute noch in zahlreichen Orten Frankens Denkmäler, zumeist Gebäude, die an die jüdische Vergangenheit erinnern, gleichwohl es schon lange keine jüdischen Gemeinden in diesen Orten mehr gibt.

Die hohe Verantwortung für das kulturelle Erbe gebietet einen gewissenhaften Umgang mit den erhaltenen Denkmälern.

Ein vorbildliches Beispiel für die pflichtschuldige Umnutzung einer ehemaligen Synagoge, in der man zugleich an das jüdische Erbe erinnert, ist der Gemeinde Reckendorf gelungen.

Die Reckendorfer Synagoge stammt aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Das Modell zeigt die ursprüngliche Ausstattung - wie sie zwischen 1727/32 und 1851 bestand - mit der Bima (Kanzel) im Zentrum, dem korbbogigen Deckengewölbe und der seitlichen Frauenempore.

Wie die meisten Synagogen wurde auch das Reckendorfer Gotteshaus während der Reichspogromnacht am Morgen des 10. November 1938 geschändet, die Innenausstattung komplett zerschlagen und verbrannt. Das Gebäude blieb erhalten und wurde umgebaut. Zwischenzeitlich als Kriegsgefangenenlager, Herde- und Schuhfabrik genutzt, diente es später als Lagerhalle für eine Brauerei.

2001 kaufte die Gemeinde das Synagogengebäude und ließ es ab 2003 restaurieren. Dabei wurden Ausstattungsspuren der Synagoge behutsam mit modernen, für Veranstaltungen zweckmäßigen Elementen verbunden. So markiert das Oktagon in Mitten des fränkischen Parketts den Ort, an welchem sich ursprünglich die Bima befand.

2005 konnte das Gebäude als "Haus der Kultur" eröffnet werden. Sie wird heute für öffentliche Veranstaltungen genutzt, steht aber auch für private Feiern, Vorträge oder Seminare zur Verfügung.

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